Mirrianne Mahn – Issa
Mirrianne Mahn – Issa

Mirrianne Mahn – Issa

Wo ist mein Platz?

„Dieses immer Zu-viel-oder-zu-wenig-Gefühl ist mein ständiger Begleiter“, sagt Issa, die titelgebende Figur des Debütromans von Mirrianne Mahn. Geboren in Kamerun und als kleines Mädchen mit der Mutter zum deutschen Stiefvater ausgewandert, sieht sie sich in Deutschland regelmäßig mit Rassismus konfrontiert. Gleichzeitig sind ihr die Sitten und Eigenheiten in Kamerun fremd geworden. Zu Beginn der Geschichte ist Issa selbst schwanger und befindet sich auf dem Weg nach Kamerun, um sich auf Geheiß ihrer Mutter, mehrere Wochen dauernden Ritualen (in ihren eigenen Augen reiner Hokuspokus) für eine problemlose Schwangerschaft zu unterziehen. Dabei will sie eigentlich nur den ständigen Konflikten mit ihrer Mutter und dem Kindsvater (dessen Namen wir nie erfahren werden) entkommen.

Die geografischen Stopps im Leben der Protagonistin ähneln denen der Autorin. Mahn schreibt mit Issa einen authentischen Roman, der wichtige Themen verhandelt, die in der deutschsprachigen Literatur noch zu wenig beachtet werden. Ihre literarische Stimme mit einer anderen Perspektive auf Deutschland und seine Geschichte wird dringend gebraucht. Der Roman greift viele Themen auf: deutsche Kolonialgeschichte, Identitätssuche, Freundschaft, Generationskonflikte. Dabei gelingt es der Autorin sich nicht in den einzelnen Themen zu verlieren, sondern sie lässt diese durch die lockere Art und den trockenen Humor von Issa in die übergreifende Erzählung mit einfließen. Besonders berührt hat mich die beinahe nebensächlich-sachliche Beschreibung von Issas Erfahrungen als Schwarzes Kind im bayerischen Oberland. Man will Issa in den Arm nehmen und beschützen – und muss sich als weiße*r Leser*in auch die unangenehme Frage stellen, wie oft man selbst wohl schon in solche Situationen verwickelt war.

Die Kraft starker Frauen

Ausgehend von Issas Ur-Ur-Oma beschreibt die Autorin ein Familienporträt über fünf Frauengenerationen hinweg. In berührender, aber nie sentimentaler Sprache verknüpft sie die Schicksale der fünf Frauen, die auch fünf Mütter sind, miteinander und schafft es dabei, jeder Frau eine in ihre Zeit passende, starke Stimme zu geben. Was alle vereint, ist die Suche und der Kampf um einen Platz in einer männergemachten Welt: Sie werden ausgebeutet und geschlagen – von Männern der deutschen Kolonialmacht, ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern. Diese tyrannischen Männer bleiben in den Lebensgeschichten stets im Hintergrund, genauso wie die liebevollen Ehemänner und Väter. Über alle Generationen hinweg sind es die Beziehungen zwischen den Müttern und ihren Töchtern, den Töchtern und ihren Müttern, Freundinnen und Ehefrauen untereinander, die die Frauen prägen und ihnen Halt geben.

Besonders hervorzuheben ist die Charakterentwicklung, die Mahn Issa ermöglicht. Ist sie zu Beginn der Geschichte noch etwas verloren und kindlich, kann sie sich im weiteren Verlauf immer mehr auf die Begegnungen mit ihren Omas in Kamerun einlassen. Oder, um es mit den Worten von Issas Oma zu sagen: „Du musst in die Vergangenheit schauen, um deine Gegenwart zu verstehen, damit du deine Zukunft gestalten kannst.“ Die großen Lehren des Romans sind damit wohl: (1) unsere Wurzeln lassen uns niemals los und (2) Frauen können alles erreichen, aber der Weg wird nicht leicht sein. So stark die Charakterentwicklung von Issa ist, so flach und wenig nachvollziehbar wirkt die Figur von Issas Mutter. Hier hätte der Roman noch etwas mehr Länge vertragen, um Issas Mutter für die Lesenden besser greifbar zu machen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die nach meinem Empfinden zu starke Mystifizierung der weiblichen Kraft und des Themas Mutterschaft. Teilweise bekommt der Roman fast esoterische Züge und verliert Frauen, die keine Mütter sein können oder wollen, aus dem Blickfeld.

Lesenswert ist das Buch aber allemal, auch wegen der Beschreibung des deutschen Kolonialismus in und um Kamerun. Ein Thema, das in der breiten deutschen Bevölkerung zu wenig bekannt und kaum literarisch aufgearbeitet ist. Mahn leistet hier einen wichtigen erzählerischen Beitrag aus der Perspektive der Kolonialisierten. Dieses Familienporträt ist geprägt von (geo-)politischen Auswirkungen auf das Schicksal der Einzelnen und fesselt ab der ersten Seite, insgesamt also eine klare Leseempfehlung!

von Hannah Deininger

Mirrianne Mahn
Issa
Rowohlt 2024
304 Seiten
24,00 Euro

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